Entrechtung

Mit Hitlers Machtergreifung am 30.Januar 1933 ändert sich für die jüdische Bevölkerung alles: erstmals in der deutschen Geschichte wurde Rassismus und Antisemitismus zum Regierungsprogramm erhoben, dem auch viele Bürger zustimmten, die nicht die NSDAP gewählt hatten.

Das zuvor meist gute Verhältnis zwischen der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung endet in diesen Monaten auch in Öhringen. Natürlich hatte es zuvor immer wieder eher harmlose Misstöne gegeben, oft war der Sabbat daran schuld. Teile der christlichen Bevölkerung konnte schwer die Sonderrechte ihrer jüdischen Mitbürger an den Samstagen akzeptieren. Während die Christen meist körperlich schwer arbeiteten, verbrachten die Juden den Tag, an dem es ihnen verboten war zu arbeiten, mit der Familie und in der Synagoge. In der Regel waren auch die jüdischen Schüler am Sabbat vom Unterricht befreit. Der Sonntag, der dem Sabbat folgte, wurde vom jüdischen Bevölkerungsteil hingegen, bis auf wenige bekannte Einzelfälle

28.02.1933 unmittelbar nach dem Reichstagsbrand wird die Notverordnung des Reichspräsidenten „Zum Schutz von Volk und Staat“ (sogenannte Reichstagsbrand-verordnung) in Kraft gesetzt. De facto ist dies die eigentliche Verfassung des Dritten Reiches, formale Grundlage des dauerhaften Ausnahmezustandes: Aussetzung der Grundrechte, Ermöglichung willkürlicher polizeilicher „Schutzhaft“ ohne richterliche Kontrolle, Ausschaltung der demokratischen Parteien und Gewerkschaften, sowie die Aufhebung der Pressefreiheit.

In Öhringen am 18.03.1933:
SA-Männer und Gendarmen nehmen unter fadenscheinigem Vorwande jüdische Bürger fest und misshandeln sie. Der 43-jährige Heinrich Einstein erlitt dabei schwere Kopfverletzungen, die zu seiner Arbeitsunfähigkeit führten, nach seiner erzwungenen Emigration in die USA starb er im Alter von nur 56 Jahren. Zu den Opfern dieser Misshandlungen zählte auch der Weinkaufmann Moritz Frießner, der zusammen mit Julius Israel die Weingroßhandlung im „Gelben Schlössle“ betrieb. Auch Moritz Frießner erlitt an diesem 18. März so schwere Verletzungen, dass er danach kaum mehr in der Lage war, seinen Geschäften nachzugehen.
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24.03.1933 „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat“ (das sogenannte Ermächtigungsgesetzt)
Dieses Gesetz ermächtigt die NS-Regierung als Gesetzgeber tätig zu werden und schafft de facto die Demokratie ab.

01.April 1933 Reichsweiter Boykott der jüdischen Geschäfte

In Öhringen am 01. April 1933: An diesem Boykotttag prangen auch an den jüdischen Geschäften in Öhringen Plakate mit der Aufschrift: Jüdisches Geschäft“ oder „Kauft nicht bei Juden“. Vor jedem Laden postiert sich zudem mindestens ein SA-Mann, der die Menschen daran hindert, den Laden zu betreten. So steht auch in der Marktstraße vor dem Schuhgeschäft von Richard Kauders ein SA-Mann, ebenso wie vor dem „Gelben Schlössle“ Von diesem Tag an bleibt die Kundschaft im „Gelben Schlössle“ immer öfter aus, 1937 muss die einstmals florierende Weingroßhandlung von Moritz Frießner und Julius Israel schließlich verkauft werden. Der Schuhhändler Richard Kauders nimmt diesen Boykotttag zum Anlass, seine baldige Auswanderung nach Palästina zu beschließen. Der wirtschaftliche Niedergang der Schuhfabrik Einstein, einer der größten Betriebe in Öhringen, beginnt ebenfalls in diesen Wochen, vor allem nachdem Heinrich Einstein zu den Opfern des 18. März gehörte. Letztendlich übernimmt 1938 die Firma Rebscher die Schuhfabrik.

07. April 1933: „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ Die formale Grundlage für die Entlassung oder Zwangspensionierung aller „unzuverlässigen Elemente“, dies betrifft alle Beamte jüdischer Herkunft. Wenige Wochen später wird ein gleichlautendes Gesetz auch für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst erlassen.
25. April 1933: „Gesetzt gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“. Mit diesem Gesetz wird der Anteil jüdischen Schüler und Studenten auf höchstens 1,5% begrenzt.

In Öhringen macht sich diese Entwicklung auch im Gemeinderat bemerkbar:
„Mit Fahnen in Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz war das Öhringer Rathaus beflaggt, als am 5. Mai 1933 der neu gebildete Gemeinderat zu seiner ersten Sitzung zusammentrat. Im Ratssaal hingen grün umrankte Bilder des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und des Reichskanzlers Adolf Hitler. Erschienen waren zwölf Stadträte, die nicht direkt gewählt, sondern nach den Ergebnissen der Reichstagswahl im März 1933 in dieses Gremium berufen worden waren. Acht der neuen Ratsherren stellte die NSDAP und zwei der mit ihr liierte Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot. Dieses Bündnis hatte in Öhringen bei der Reichstagswahl 67 Prozent der Stimmen erhalten. Die SPD-Stimmen reichten nur für zwei Sitze.

Wenige Tage zuvor hatte Bürgermeister Peter Berner den alten Gemeinderat zu einer letzten Sitzung einberufen. Dieser von den Bürgern direkt gewählte Gemeinderat war nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten per Gesetz aufgelöst worden. Der Bürgermeister dankte für eine einwandfreie und im Stadtbild sich widerspiegelnde Arbeit. Er könne mit reinen Händen und guten Gewissens Abschied von der Stadtpolitik nehmen. Schon die erste Sitzung unter dem Hakenkreuz machte deutlich, dass sich auch auf kommunaler Ebene viel ändern werde. Die Stadträte wurden jetzt Ratsherren genannt, die nichts mehr zu entscheiden, sondern nur dem zuzustimmen hatten, was der Bürgermeister bestimmte. Bürgermeister blieb Peter Berner, der sich durch seinen Beitritt in die NSDAP im Amt halten konnte. Er vereidigte die neuen Ratsherren und überließ dann Kreisleiter Dr. Ferdinand Dietrich das Wort, der die in Braunhemden erschienenen acht Ratsherren der NSDAP „nach einer ernsten und von hohem Verantwortungsgefühl getragenen Rede“ besonders verpflichtete.

Die beiden Ratsmitglieder der SPD erklärten unter Hinweis auf die neuen politischen Verhältnisse ihren Rücktritt. In seiner ersten Arbeitssitzung stimmte der neue Gemeinderat geschlossen dafür, „in Würdigung der großen Verdienste des Reichskanzlers“ die Bahnhofstraße in Adolf-Hitler-Straße zu benennen.
Die neuen Ratsherren stimmten ferner zu, keine städtischen Aufträge mehr an jüdische Geschäfte zu vergeben.“
(Zitat aus einem Artikel der Hohenloher Zeitung vom 27.12.2003)

14. Juli 1933: über 30 Gesetze zum Schutz des Reiches werden beschlossen, u.a. auch das „Gesetz für die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ (das sich vor allem gegen jüdische Einwanderer aus Russland und Polen, sowie prominente Emigranten richtet). Ebenso wird ein „Gesetz zur Verhütung erkranken Nachwuchses“ erlassen. Auf Grund dieses Gesetztes werden bis 1945 über 350.000 Menschen zwangssterilisiert.
Februar bis Dezember 1934: mit neuen Prüfungsverordnungen werden jüdische Studenten generell vom Examen ausgeschlossen, so z.B. Ärzte, Juristen, Pharmalogen

Öhringen 1934: die traditionelle Lokalzeitung „Hohenloher Bote“ muss sein Erscheinen einstellen, nachdem er die Mehrzahl seiner Leser und Abonnenten verloren hat. Die Stadt veröffentlicht alle amtlichen Anzeigen der Stadt nur noch in der neugegründeten NSDAP-nahen Zeitung „Hohenloher Rundschau“, zudem wurden alle Parteimitglieder angehalten, nur noch diese neue Zeitung zu lesen.

Mai bis August 1935 verstärkte Boykott-Propaganda gegen die jüdische Bevölkerung, vielfältige Gewaltakte von Partei- und SA-Truppen gegen Juden und jüdische Geschäfte
In Öhringen: das Leben der Juden wird auch in Öhringen immer schwieriger und gleicht einem Spießrutenlaufen. In der ganzen Stadt sind antijüdische Parolen zu sehen. „Juden sind unser Unglück“, ist an vielen öffentlichen Orten zu lesen. An den Ortseingängen hängt der Spruch: „Die Mutter ist die Heimat deines Lebens. Vergiß das nie. Und wenn du beim Juden kaufst, errätst du sie.“ Alle jüdischen Geschäfte sind als jüdische Geschäfte gekennzeichnet. Immer wieder ist zu lesen und zu hören: „Öhringen muß judenfrei werden“. 

15. September 1935 anlässlich des „Parteitages der Freiheit in Nürnberg“ werden die „Nürnberger Gesetze“ erlassen. Unter anderen das „Reichsbürgergesetz“, die formalrechtliche Grundlage für den sukzessiven Entzug der staatbürgerlichen Rechte der Juden durch Verordnungen. Und vor allem das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ Mit diesem Gesetz wird genau definiert, wer als Arier und Nichtarier angesehen werden muss. Zudem wird die Eheschließung und sexuellen Beziehungen zwischen Juden und sogenannten „Deutschblütigen“ unter Strafe gestellt.
14. November 1935 Erste Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ und damit die Entlassung von allen Juden im Sinne des „Reichsbürgergesetzes“ aus dem Staatdienst und allen sonstigen öffentlichen Ämtern.

Aufmarsch in der Bahnhofstraße, Kreisarchiv Hohenlohekreis, Fotosammlung, o.Sign.

Öhringen 1936: einige Lehrer des Progymnasiums (heutige HGÖ) verlangen den Ausschluss jüdischer Schüler und Schülerinnen vom Unterricht und weigern sich, diese weiter zu unterrichten. Daraufhin wird vom damaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde Louis Rothschild im Gebäude der Synagoge eine Privatschule eingerichtet.

Im Sommer 1936 wird die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung meist nicht offensiv und aktiv durch das NS-Regime betrieben, um die Weltöffentlichkeit in den Wochen vor und während den Olympischen Sommerspielen in Berlin zu beruhigen.

Herbst 1937: reichsweit beginnt die systematischen „Arisierung“ jüdischen Vermögens

In Öhringen im Herbst 1936: Jüdische Händler werden vom Viehmarkt ausgeschlossen.

26.April 1938: Anmeldepflicht für alle jüdischen Vermögen über 5000 Reichsmark
06. Juli 1938: Verbot für Juden Vermittlungsgeschäfte und ein Wandergewerbe zu betreiben
25. Juli 1938: allgemeines Berufsverbot für jüdische Ärzte, Zulassung lediglich noch als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten
27. September 1938: Berufsverbot für jüdische Rechtsanwälte
07. November 1938: Attentat von Herschel Grynszpan auf den Legationssekretär Ernst von Rath in Paris aus Protest gegen die Ausweisungsaktion von Juden polnischer Herkunft aus Deutschland.

08. bis 13. November 1938: Zahlreiche judenfeindliche Übergriffe, als angebliche Reaktion auf die Ermordung von Raths. Anordnung von Hitler und Goebbels zur Ausweitung zu einem reichsweiten Pogrom „Reichskristallnacht“. Es kommt zur Ermordung von weit über hundert Juden, die Verschleppung von über 26.000 Personen ins Konzentrationslager, die Zerstörung und Demolierung zahlreiche Synagogen, Geschäften und Wohnungen.

Verfolgung
Der 9. November 1938 kann als der Tag betrachtet werden, an dem die bis dahin meist versteckte, unterschwellige und durch Rechtsbeugung legitimierte Verfolgung der verbliebenden jüdischen Bevölkerung nun in offene, rücksichtslose Gewalt umschlug.

10. November 1938 in Öhringen:
Die Synagoge in Öhringen gehört zu den wenigen jüdischen Gotteshäusern, die einen Tag später als im Rest des Deutschen Reiches vom organisierten, vermeidlichen „Volkszorn“ getroffen wird. Die Synagoge wird von Öhringer und auswärtigen SA-Männern, entweiht und geplündert.
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10. November 1938: Verbot der gesamten jüdischen Presse
12. November 1938: „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“. Die jüdischen Besitzer sind gezwungen die Schäden der Reichspogromnacht ohne Anspruch auf Versicherungsleistungen selbst zu begleichen. In diesem Zusammenhang werden insgesamt 250 Millionen Reichsmark der jüdischen Bevölkerung beschlagnahmt. Ab diesem Tag beginnt zudem die Durchsetzung der jüdischen „Sühneleistung“ in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Reichsmark. Mit einer direkten Einzelsteuer von 20% auf jüdisches Vermögen ab 5000 Reichsmark wird diese Zwangsverpflichtung in den kommenden Wochen durchgesetzt.
Und es wird der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Deutschen Wirtschaftsleben“ erlassen. Dahinter verbirgt sich die völlige Eliminierung jeglichen Betätigungsraumes.
12. November 1938: Verordnung zum Ausschluss aller jüdischen Schüler von öffentlichen Schulen.

12. November 1938 Öhringen:
Mit der Verordnung dieses Tages wird von den NS-Behörden offiziell angeordnet, was seit Monaten bereits Alltag in Öhringen ist. Alle jüdischen Schüler und Schülerinnen aus öffentlichen Schulen werden in der Synagoge in ein einem Klassenzimmer unterrichtet – Gymnasiasten, Volksschüler und Schulanfänger. Seit dem 01. Februar 1936 ist ihr Lehrer Hans Bodenheimer.

28. November 1938: Beschluss des „Judenbanns“. Mit diesem Beschluss wird es möglich, der jüdischen Bevölkerung das Betreten bestimmter Bezirke und Orte zu verbieten. Zudem kann ein allgemeines Ausgehverbot verhängt werden.
03. Dezember 1938: Verordnung zur Zwangsveräußerung („Arisierung“ jüdischer Gewerbebetriebe)

Öhringen: hier hat diese in Verordnung aus Berlin keine bekannten Auswirkungen. Die Mehrzahl der jüdischen Geschäfte und Gewerbebetriebe wurden bereits vorher unter dem wirtschaftlichen und öffentlichen Druck aufgegeben. So gibt zum Beispiel Hugo Schlesinger bereits Anfang 1937 sein Textilhaus auf und verlässt mit seiner Familie Öhringen. 

30. April 1939: „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“. Dieses Gesetz bietet die rechtliche Grundlage zur Auflösung von „Hausgemeinschaften mit Juden“ und zur Unterbringung von Juden in „Judenhäusern“.

Judenhäuser in Öhringen:
Das „Gesetz für Mietverhältnisse mit Juden wurde auch in Öhringen umgesetzt, mit diesem Gesetz verloren die Juden den gesetzlichen Mieterschutz, darüber hinaus konnte ihre mit diesem Gesetz die Unterbringung in „Judenhäuser“ realisiert werden. Ein Schritt mehr zur sozialen Ausgrenzung und Isolierung der verbliebenen Juden.
Die zwei bekannten Judenhäuser in Öhringen sind Bahnhofstraße 10 und Poststraße 24. Genutzt wurden diese beiden Häuser in der Zeit von 1939 bis 1941. Mehr zu den Judenhäusern ist hier zu erfahren

18.08.1939: alle Ärzte im Reich werden verpflichtet „missgebildete“ Kinder zu melden, dies ist die Vorbereitung zu deren späteren Ermordung.
1. September 1939: mit dem Angriff auf Polen, ohne Kriegserklärung, beginnt das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg.