Vortrag Pfarrer Häcker

am 19. November 2000
Zur Vorstellung der jüdischen Gedenktafeln im Kreuzgang der ev. Stiftskirche Öhringen.

Vor ca. 4-5 Jahren wurde mir bewusst, dass in vielen Städten Deutschlands Gedenkstätten oder Gedenktafeln für die jüdischen MitbürgerInnen zu finden sind und dass in Öhringen hier noch ein gewisses Manko besteht. Schnell fand ich Gleichgesinnte im Arbeitskreis Zeitgeschichte, dem wir nicht genug dankbar sein können für die Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen Öhringer Mitbürger. Sie hatten damit ja bereits den größten Teil der notwendigen Vorarbeit für diese Tafeln geleistet, was gut zusammengefasst in der Dokumentation „Jüdische Bürger in Öhringen“ nachgelesen werden kann. Auch von Seiten der ökumenischen Kirchen und der Stadt kam nicht nur wohlwollende Zustimmung, sondern auch ideelle und finanzielle Unterstützung. Auch private Spender und Banken haben erhebliche finanzielle Beiträge geleistet. Allen, die hier mit beteiligt waren, bin ich von Herzen dankbar.

So konnte vor zwei Jahren die neue gegossene Tafel an der ehemaligen Synagoge übergeben werden, auf welcher steht:

Heute nun können wir mit den Namenstafeln den 2. Teil des Vorhabens vorstellen. So wie die Namen der Verstorbenen aus unseren Familien normalerweise auf dem Friedhof auf einem Grabstein zu finden sind und die Namen der vom Krieg nicht mehr heimgekehrten Soldaten auf den Gedenktafeln etwa hier im Kreuzgang, so sollen auch die Namen derer, die als Juden unbeschreibliches, unmenschliches Unrecht über sich ergehen lassen und danach noch mit ihrem Leben bezahlen mussten, einen würdigen Ort finden. Sie bildeten hier in Öhringen unauffällige Familien, die genau so, wie alle anderen Familien hier ihren Teil auch zum gemeinschaftlichen Leben beigetragen haben.

An dieser Stelle möchte ich aus der spannenden Dokumentation drei Aspekte in Erinnerung rufen. Denn rechtes Gedenken ohne Erinnerung ist wohl nicht möglich.

1. möchte ich daran erinnern, wie jüdische Familien sich selbstverständlich in die Gesellschaft eingliederten. So gingen Kinder aus jüdischen Familien, nachdem sie Ende des 19. Jahrhunderts sich wieder in Öhringen und Umgebung ansiedelten, selbstverständlich aufs Öhringer Gymnasium. Der erste, der 1871 eintrat, hieß Karl Weil (!) aus Affaltrach. Bald war es so, dass bis Anfang des sog. 3. Reiches jüdische Schüler überproportional zur Bevölkerung auf dem Gymnasium vertreten waren. „Ein noch stärkerer Hinweis auf die Eingliederung in die Gesft. liefert die Namensgebung. Vor 1900 gab es fast ausschließlich hebräische Vornamen, also Isak, Abraham, Seligmann, Mose; bei den Kindern, die nach 1900 geboren wurden, herrschen die damals üblichen deutschen Vornamen vor. … Wilhelm, Albert, Max, Fritz, Hermann, Gerhard, Siegfried. … Mädchen: Klara, Gretel, Cäcilie, Liesel, Anita, Trude. …“
Bevor sie aus den Sportvereinen ausgeschlossen wurden, waren sie selbstverständlich auch dort Mitglieder. Noch Anfang 1933 wurden drei Bürger jüdischen Glaubens für 25 Jahre Mitgliedschaft geehrt: Ferdinand Bloch, Heinrich Einstein und Richard Kauders.

2. Der 2. Aspekt der Erinnerung betrifft die Behandlung der jüdischen Bevölkerung in der Verfolgungssituation. Bereits am 18. März 1933 wurden jüdische Männer zusammengetrieben, ins Öhringer Gefängnis gebracht und dort schmählichst behandelt: zusammengeschlagen und gedemütigt. Ein Betroffener schrieb: „Gegen Abend kam die SA mit großem Geschrei zurück. Zellen wurden aufgerissen. Alle mussten hinunter in den Gefängnishof, vorbei an knüppelschlagenden SA-Leuten. Hier mussten wir uns in Reih und Glied aufstellen, die Juden in die hintere Reihe [Kommunisten und Sozialdemokraten, die genauso behandelt wurden, waren auch dabei]; Die SA-Leute hatten einen Mordsspaß. Den meisten der vielen Zuschauer aber war das Lachen vergangen. Einige brachen in Tränen aus, andere liefen weg, weil sie es nicht mitansehen konnten.“ Die Zurschaugestellten mussten anschließend durch Öhringen ziehen und das Deutschlandlied (und das Horst-Wessel-Lied) singen. Wer nicht mitsang, wurde geschlagen.

3. Damit bin ich beim 3. Aspekt der Erinnerung: Öhringer Bürger haben nicht nur zugeschaut oder gar angefeuert. Sie konnten es wenigstens zum Teil nicht mit ansehen. Ein eindrückliches Beispiel der Solidarität mit jüdischen Mitbürgern möchte ich deshalb noch erwähnen: „Der Gärtner Ernst Hachtel … ließ der (jüdischen) Familie des August Thalheimer … öfters Gemüse zukommen. Ein Parteigenosse stellte Ernst Hachtel deshalb zur Rede: ‚Entweder du lässt das bleiben, oder du brauchst unsere Familiengräber nicht mehr zu pflegen.’ Die Antwort von Ernst Hachtel war kurz und bündig: ‚Dann pfleg sie halt selbst’“.

Soweit die konkreten Erinnerungen, ohne die ein rechtes Gedenken nicht möglich ist.

Ich bin froh, dass es nun endlich, nachdem das Unrecht bereits mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegt, möglich geworden ist, diese Gedenk- und Denktafeln zu verwirklichen. Ja ich empfinde große Freude darüber. Auch von Seiten der jüdischen Nachkommen, die jetzt in Israel leben, konnte ich aus einem Brief in der vergangenen Woche entnehmen, dass sie sich sehr darüber freuen, zumal sie sich das nicht vorstellen konnten.“
Von daher gesehen haben wir eigentlich Grund, ein Freudenfest zu feiern.

Leider aber drängen sich mir auch andere, gegenteilige, bedrückende und traurig machende Gefühle auf. Es schmerzt mich sehr, wenn mir Menschen deutlich machen, welche Vorstellungen sie mit Juden verbinden. Wenn etwa die Überzeugung geäußert wird, dass sie die gesellschaftlichen Revolutionen der Vergangenheit herbeigeführt haben und dass sie dabei sind, die Weltrevolution vorzubereiten. Dass die Juden die Börsen im Griff haben u.a.m. Das ist ja genau das antisemitische Gedankengut, welches unter dem Hitlerregime dafür gesorgt hat, dass diese Mitbürger, Männer, Frauen und Kinder so erniedrigt wurden – indem man sie z.B. wie Vieh durch die Stadt getrieben hat, ihnen Schul- und Berufsverbot erteilte, sie in Ghettos gesperrt hat, sie schließlich in Viehwaggons zu den KZs und in andere Lager transportiert hat, wo sie ein Ende fanden, das unvorstellbar und unbeschreiblich ist. Was mir geradezu Angst macht, ist, dass solche antisemitischen Meinungen von namhaften Leuten unter uns heute vertreten werden.

Daraus ist klar und deutlich ersichtlich, dass die Aufgabe zur Friedensarbeit mit den neuen Namenstafeln nicht beendet ist. Dekan Stier hat vor Monaten mal mit einem Seufzer gesagt: Wenn die Tafeln fertig sind, machen wir zuerst mal Pause. Damit kam zum Ausdruck, welche Mühen damit verbunden sind, so was auf die Reihe zu bringen. Und ich kann sie beruhigen: mir ist nichts von weiteren Planungen in dieser Richtung bekannt.

Vielmehr hoffe ich, dass die Tafeln dazu beitragen, dass wir es lernen, mit möglichst wenig Vorurteilen aufeinander zuzugehen;
dass wir gerade auch mit Menschen, die hier eine abwehrende Haltung haben, ins Gespräch kommen; ich lade diese Menschen ausdrücklich ein, mit uns zu reden;
dass wir die Frage nach der Wahrheit geduldig dort stellen, wo anderen Menschen Schlechtes nachgesagt wird;
dass es für uns zur Selbstverständlichkeit wird, dass die Menschen nicht nur sehr dicht aufeinander leben, sondern dass andere Kulturen in unserer Nachbarschaft zur Bereicherung werden, weil man mit seinen Nachbarn spricht. Das macht das Leben doch letztlich bunt und schön wie ein Blumenmeer.

In Anlehnung an Martin Luther King sage ich:
Ich träume davon,
dass eines Tages Menschen sich nicht nur als Opfer sehen, sondern sich auch als Täter bekennen, um Versöhnung herbei zu führen,
dass eines Tages kein Volk mehr ein anderes pauschal verurteilt,
dass eines Tages die Grenzen und Mauern in unseren Köpfen fallen,
dass wir eines Tages verlernen, in Taten, Worten und Gedanken Gewalt zu üben,
dass eines Tages die Menschen aller Völker wie Geschwister miteinander umgehen, weil jeder dem anderen die Würde seines Menschseins zugesteht.

Danke …