Zugtransport nach Riga

Die Fahrt des Zuges vom Stuttgart-Nordbahnhof nach Riga, die Abfahrt am 1.12.1941 und die Ankunft am 4.12.1941

Zum Anfang dieses Teiles vergegenwärtigen wir uns die Lage der Juden.
Ein Teil glaubte an die Umsiedlung nach Osten mit einem neuen Anfang. Andere Juden hatten eine böse Vorahnung, dass ihnen nichts Gutes geschieht.

Selbst der Vorstand der Jüdischen Kultusvereinigung, Ernst Moos, Theodor Rothschild und Alfred Fackenheim hatten in ihrem Schreiben vom 19.11.1941 mit tröstlich klingenden Worten besänftigt:

„Zum Schluß bitten wir Sie, nicht zu verzagen: Die Leistungen unserer Mitglieder, besonders im Arbeitseinsatz, berechtigen zu der Hoffnung, daß auch diese neue und schwierigste Aufgabe gemeistert werden kann.“

Von den am 1.12.1941 von Stuttgart abgegangenen Deportationstransport mit 1.013 Personen, begleitet von 10 Schutzpolizisten und einem Angehörigen des Judenreferats der Gestapo, haben die Zeit des Elends und der Vernichtung nach unseren heutigen Kenntnissen lediglich 43 Personen überlebt.

Nach Auskunft von Dr. Alfred Gottwaldt, Abteilungsleiter Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum, der mit Diana Schulle Verfasser des Werkes „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941-1945“ (Wiesbaden 2005) ist, gibt es beim Stuttgarter Transport keine bahnamtlichen Unterlagen. In solchen Fällen behilft man sich mit sog. „plausiblen“ Lösungen.

Das könnte dann im Deutschen Streckenbereich, da Berlin gemieden wurde, den Laufweg Stuttgart, Nürnberg, Hof, Chemnitz, Görlitz, Breslau, Posen, Thorn, Deutsch Eylau, Königsberg, Tilsit gewesen sein.

Durch den Polizeioffizier Paul Salitter, der den Transport ab 11.12.1941 von Düsseldorf nach Riga begleitete, sind nähere Umstände des Transports bekannt. Identisch ist der Verlauf nach der deutschen-litauischen Grenze:
Nach Tilsit ging es zur litauischen Grenzstation Laugszargen, danach zur litauischen Station Tauroggen. Von hier aus sollte die Fahrt nach Riga normal nur noch 14 Stunden betragen. Infolge des eingleisigen Bahngeländes und der Zweitrangigkeit des Zuges in der Abfertigung gab es auf den Bahnhöfen oft lange Verzögerungen in der Weiterfahrt. Es war schon bitter kalt und es schneite.

Auf dem Bahnhof Schaulen gab es eine gute Verpflegung der Begleitmannschaft von Schwestern des Roten Kreuzes. In Schaulen wurde in allen Judenwagen durch litauisches Eisenbahnpersonal die Lichtzufuhr abgestellt. Auf dem nächsten Bahnhof hatten die Juden letztmalig die Gelegenheit aus einem in der Nähe liegenden Brunnen Wasser zu fassen. Das Wasser auf litauischen und lettischen Bahnhöfen ist durchweg ungekocht genießbar, allerdings schwierig erreichbar. Die Brunnen waren nicht immer in der Nähe des Bahnkörpers und Zapfstellen nach deutschem Muster nicht vorhanden.

Nach der Durchfahrt durch Litauen erreichte der Zug Mitau, Lettland. Danach ging es nach Riga. Da die Juden aber nicht für das Rigaer Ghetto bestimmt waren, sondern im Ghetto Skirotawa, 8 km nordöstlich von Riga, untergebracht werden sollten, musste der Zug rangieren.
Nach vielem Hin- und Herrangieren kam der Zug auf dem Bahnhof Skirotawa an.

Ein Überlebender, Richard Fleischer aus Göppingen schildert die Fahrt:
„Nachts um 4 Uhr wurden wir am Nordbahnhof einwaggoniert, und fuhren drei Tage und vier Nächte in ungeheizten Wagen nach Riga.
Unterwegs bekamen wir nur zweimal Wasser. Halb verdurstet kamen wir an. Beim Ausladen wurden wir wie das Vieh mit Stockschlägen und Geschrei ausgeladen. Auf dem Glatteis blieben viele Leute zurück und wurden erschossen. In zehn Minuten hatten wir 28 Tote.
Wir hatten gleich den richtigen Eindruck.“