Vom Antisemitismus bis Massenmord

Von Antisemitismus, Rassenwahn, Verleumdung, Entrechtung, Verfolgung bis zum Massenmord 

Die Verbrechen des „Dritten Reiches“ beruhen, sehr vereinfachend gesagt, auf die schlichte Formel: nicht jeder Mensch besitze die gleiche Existenzberechtigung und die Menschen seien unterschiedlich viel wert. Die Nationalsozialisten setzten diese Vorstellung in ihrer radikalsten Form um, indem sie Männer, Frauen und Kinder ermordeten.

Die Ursprünge dieses Denkens reichen weit zurück und sind durch zahleichen Pogrome in den zurückliegenden Jahrhunderten ausreichend belegt. Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich diese, vor allem auf religiösen und wirtschaftlichen Motiven beruhende Judenfeindlichkeit. Diese antijüdische Propaganda, nun Antisemitismus genannt, erlangte mit dem Aufkommen der modernen Gesellschaft im politischen Leben Europa eine wachsende, unheilvolle Bedeutung. Der Antisemitismus richtete sich gegen eine kleine religiöse Minderheit, die sich von einer gesellschaftlichen Randgruppe im Ghetto zu einer religiösen Gemeinschaft mit sozialen Erfolgen und kulturell weitgehend an die christliche Bevölkerungsmehrheit assimiliert hatte.

Die jüdischen Mitbürger spielten im ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem im wirtschaftlichen Leben Öhringens eine wichtige Rolle.
Mehrere Industrieunternehmen wurden von ihnen gegründet und eine große Zahl von Handels- und Gewerbebetrieben war im Besitz jüdischer Familien. Die jüdische Bevölkerungsgruppe gehörte zum Erscheinungsbild der Stadt Öhringen.

1890 zählte die jüdische Gemeinde 172 Personen, das waren rund 4,4 % der Gesamtbevölkerung; 1933 wurden noch 163 Personen gezählt.

Wachsende Verleumdung und gesellschaftliche Verfolgung
Wer in den Jahren 1900 bis 1933 durch die Straßen Öhringens spazierte, traf überall in der Stadt auf jüdische Geschäfte und Gewerbetreibende, die zum Stadtbild gehörten, wie das fürstliche Schloss und der Marktbrunnen. So ging man etwa in der Poststraße an der Bäckerei von Louis Kaufmann vorbei, nur wenige Schritte weiter betrieb Seligmann Weil seine Gaststätte und Metzgerei. Das Bekleidungsgeschäft S. Schlesinger und Söhne, das größte Bekleidungsgeschäft der Stadt, war ebenso in der Poststraße zu finden. Wer dort nichts passendes fand, konnte es in der Unteren Torstraße im Textilgeschäft von Max Kocherthaler versuchen. Erwähnt sei hier noch das größte Schuhgeschäft der Stadt bis 1933, die Schuhhandlung von Richard Kauders in der Marktstraße. Bei solch einem Spaziergang konnte man noch an weiteren jüdischen Betrieben und Geschäften vorbeikommen.

Die jüdischen Bürger fühlten sich auch in Öhringen in erster Linie als Deutsche Bürger, dies wird zum Beispiel auch belegt durch die Existenz einer Ortgruppe des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ in Öhringen. Aufgabe dieses Vereins war die Integration der Juden in das gesellschaftliche Leben. Andere politische Strömungen, etwa Aktivitäten des Allgemeinen Sozialistischen Arbeiterbundes, kurz „Bund“ genannt oder zionistische Vereinigungen sind für Öhringen nicht belegt.

Im gesamten deutschen Reich war es vereinzelt immer wieder zu aggressiven antijüdischen Vorfällen und Übergriffen gekommen. Schon wenige Monate nach Beginn des 1. Weltkrieges und dem ausbleibendem, erwarteten raschen Sieg wurden die antisemitischen Stimmen lauter. Eine diskriminierende Zählung aller jüdischen Soldaten wurde vorgenommen, Juden wurden als „Drückberger“ und „Kriegsgewinnler“ verleumdet, obwohl sich ihr Verhalten von dem der Gesellschaftsmehrheit nicht unterschied. Gegen die Juden wurden mit haltlosen, unbewiesenen Behauptungen gehetzt, so auch in Öhringen.  
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So erstaunt es kaum, dass Teile der Gesellschaft den Juden nach November 1918 die Schuld an der Niederlage gaben. Der Antisemitismus trat nun offen gewalttätig auch durch Mordanschläge zu Tage und trotzdem wurde er gesellschaftsfähig, gehörte in den nationalistisch gesinnten Kreisen bald zum „guten Ton“. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen zu Beginn der 1930er Jahre verschoben das politische Kräfteverhältnis in allen Bereichen zugunsten der Rassisten und Antisemiten. Es waren vor allem die Nationalsozialisten, die von dieser Entwicklung profitierten.

Die erst Aktivitäten der NSDAP in Öhringen sind für 1922/1923 belegt. Organisiert von einem jungen Parteimitglied fanden im Gasthof „Adler“ die ersten nationalsozialistischen Abende statt. Mehrfach wurden in den Wintermonaten solche Veranstaltungen durchgeführt, die Resonanz blieb mit 12 bis 15 Besuchern noch eher bescheiden. Es wurden jedoch erste Mitglieder geworben und nach München gemeldet. Inhalt dieser Veranstaltungen war natürlich die Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch die Juden und die Bolschewisten.

Auch andere Parteien betrieben in den 1920er Jahren mit antisemitistischen Parolen Wahlkampf, so die Württembergische Bürgerpartei und der Alldeutsche Verband. So hieß es zum Beispiel bei der Kandidatur des jüdischen Bürgers Erst Bloch zur Gemeinderatswahl in Öhringen 1922: “Auch einer ist schon um 100% zu viel!“ Zudem gab es christliche Geschäftsleute in Öhringen, die schon vor 1933 in der Zeitung mit Inseraten: „Deutsche Frau kauft Deutsches beim Deutschen“ warben. Ein kleiner „Vorgeschmack“ von dem, was in den nachfolgenden Jahren noch kommen sollte.

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Für ihre Unterstützung und Mithilfe danken wir besonders:

Herr Tröger, Archiv der Stadt Öhringen
Herr Dr. Kreutzer, Landesarchiv Baden-Württemberg, Außenstelle Neuenstein
Frau Betina Hachenberg, Hohenloher Zeitung
Herr Günzel, Foto-Günzel, Öhringen

Quelle Beitragsbild: Privatfoto des Kinderfestes wahrscheinlich von 1932, da haben noch jüdische Kinder teilgenommen. 
1933 durften sie das nicht mehr.

Quellenangaben:

„Jüdische Bürger in Öhringen – Eine Dokumentation“
Herausgeber: Arbeitskreis Zeitgeschichte und Stadt Öhringen, Oktober 1993

„Dokumente über die Verfolgung der Jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933-1945“ Band I und II von Paul Sauer 1962 und bearbeitet 1966

„Evakuiert“ und „Unbekannt verzogen“ – Materialien zur Deportation der Juden aus Württemberg und Hohenzollern 1941 bis 1945
Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2008

„Die tödliche Utopie“
Herausgeber: Institut für Zeitgeschichte München 2008