Tränen in der Turnhalle
Über Jahrzehnte hinweg wurde in Öhringen der Name Bloch mit Respekt genannt. Die besondere Hochachtung galt Julius Bloch und dessen Sohn Ferdinand, die beide in der Bevölkerung so großes Vertrauen genossen, dass sie als Mitglieder des Gemeinderats viele Jahre ihrer Stadt dienen konnten. Sie spielten auch im Vereinsleben eine Rolle und waren großzügige Förderer aller Bestrebungen, die dem Wohle Öhringens galten.
Der aus Eichtersheim (heute Gemeinde Angelbachtal im Kraichgau) stammende Julius Bloch und seine Frau Sophie Groß aus Affaltrach heirateten 1880 in Öhringen, wo Julius Bloch eine – schon 1885 in das Handelsregister eingetragene – Getreidehandlung betrieb.
1895 wurden die ersten Telefone in Öhringen in Betrieb genommen, es gab 8 Anschlüsse. Der Anschluss Nr. 1 war der von
Julius Bloch, Mehl- und Landesproduktenhandlung, Karlsvorstadt 447
Julius starb 1918 und fand seine Ruhestätte auf dem Öhringer Friedhof, wo auch seine 1939 im Altersheim Sontheim verstorbene Frau, als eines der letzten der jüdischen Gemeindemitglieder beigesetzt wurde.
Das Ehepaar Bloch hatte drei Kinder,
Tochter Rosa *1881 starb schon mit 5 Monaten,
es folgten *1882 Ferdinand und *1884 Siegfried.
Siegfried, der jüngere Sohn wurde in Argentinien als Getreidekaufmann ausgebildet und trat dann wie sein Bruder Ferdinand in das väterliche Geschäft ein.
Siegfried heiratete Sophie Thalheimer und hatte mit ihr den Sohn Julius.
Im Mai 1936 verstarb Siegfried mit nicht einmal 52 Jahren in Öhringen an Magenblutungen.
Während des 1. Weltkrieges hatte er vier Jahre im Feld gestanden, war Gefreiter und Inhaber des EK II, sowie der silbernen württembergischen Tapferkeitsmedaille.
Sohn Julius konnte im gleichen Jahr die Mittlere Reife am Progymnasium ablegen und schloss sich wenige Wochen nach dem Tode seines Vaters einem Jugendtransport nach Amerika an. Seine Mutter verließ 1937 Öhringen und konnte 1940 über die Schweiz nach New York gelangen, wo sie 1966 starb. Julius übersiedelte nach Florida, wo er bis zu seinem Tode im August 2000 lebte.
Julius Bloch in einem Brief an den Arbeitskreis: „Bis 1936 besuchte ich das Progymnasium. Die ersten drei Jahre waren angenehm, die letzten drei Jahre waren Schrecklich. Ich erinnere mich an viele gute Nachbarn, die anderen will ich vergessen.“
Ferdinand, Julius‘ älterer Bruder, bewohnte mit seiner Familie das stattliche Haus in der Karlsvorstadt 5 mit Scheune und Garten am Haagweg. Hier befanden sich auch die Geschäftsräume der Landesproduktenhandlung Gebrüder Bloch. Das Anwesen ging 1940 in das Eigentum der „Beamtenfürsorge der Volksbank Öhringen“ über, die vor einigen Jahren an der Stelle von Nebengebäuden einen Neubau mit Geschäften und Arztpraxen erstellte.
Die von der Firma Bloch als Ölmühle genutzte Wirtsmühle an der Büttelbronner Straße, heute Teil der Albert-Schweitzer-Schule, wurde 1935 von der Stadt erworben, die darin ein Heim für die Hitlerjugend einrichtete.
Aus dem Ersten Weltkrieg als Gefreiter heimgekehrt, heiratete Ferdinand Bloch im Jahre 1920 in Künzelsau Else Baer aus Hohebach, sie entstammt aus einer eingesessenen und für Deutschland bedeutsamsten Getreidehandlung. Sohn Heinz (Julius) kam 1921 zur Welt. Über den Wahlvorschlag der Deutschen Demokratischen Partei zog Ferdinand Bloch 1922 in den Gemeinderat ein. Er war nicht nur ein geachtetes Mitglied der Öhringer Gesellschaft, er übte auch überörtliche Ehrenämter aus, die mit seinem Beruf als Landesproduktenkaufmann in Zusammenhang standen. So gehörte er zum Vorstand der Karlsruher Börse und der Landesproduktenbörse in Stuttgart. Seine Berufsgenossen wählten ihn wegen seines Sachverstandes und seiner Urteilskraft zu ihrem Schiedsrichter.
Heinz Bloch schreibt über seinen Vater: „Es hat ihn sehr hart getroffen, daß er seine Stellung in der Gemeinde nur deshalb verlor, weil er Jude war. Lange wehrte er sich gegen den Gedanken, sein Öhringen und Vaterland zu verlassen und in ein fremdes Land zu gehen. Daß er so dachte, hätte meinen Eltern fast das Leben gekostet. In letzter Minute konnten sie in die USA ausreisen.“ Ferdinand Bloch starb dort 1945.
Heinz Bloch sollte seinen Vater nicht mehr sehen. Wenige Wochen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verließ er, 18 Jahre alt, seine Heimatstadt und ging nach England, wo seine Schwester Marianne seit 1936 die Badminton School in Bristol besuchte.
Frei bewegen konnte sich Heinz Bloch nicht mehr lange. Die Ironie seines Lebens: Die Deutschen wollten ihn nicht mehr haben, weil er Jude war, für die Engländer war er ein Feind, weil er Deutscher war. Er wurde interniert und verbrachte zwei Jahre in einem Lager in Australien, bevor er nach England zurückkehren durfte und dann 1946 in die USA auswanderte. Hier sah er Mutter und Schwester wieder und erlernte, gesundheitlich stark angeschlagen, den Beruf des Juweliers.
Zu den Freunden Heinz Blochs während seiner Schulzeit im Progymnasium gehörte Hans Magsam, zu dem er bis zu seinem Tode, einen Tag nach seinem 73 Geburtstag in Oakland, Michigan, in einem engen Kontakt stand.
Er musste aber auch Bitteres hinnehmen. Noch spürt er auf blutiger Handfläche die Stockhiebe eines Lehrers, der ihn und andere jüdische Schüler schikanierte. Und unvergessen ist, was er in der Turnhalle erleben musste. Als der leidenschaftliche Handballspieler zum wöchentlichen Treffen ins Turmzimmer wollte, wurde die Tür zugeschlossen. er hörte drinnen sagen, dass er nicht länger dazugehöre. Heinz Bloch: „Mir kamen die Tränen…… In keinem Augenblick meines Lebens habe ich mich elender gefühlt.“