Im „Schuldbuch der Öhringer Juden“
In einer Hetzkampagne gegen die Juden legte die NSDAP Öhringen in den dreißiger Jahren ein „Schuldbuch den Öhringer Juden“ an und beschuldigte in der Nummer 2 ihrer Flugblattserie den Viehhändler Gustav Berliner in tendenziöser Weise des Betrugs. Er sei ein Gauner, der mit Vorliebe unwissenden kleinen Leuten ihr Hab und Gut pfände. Nummer 1 der Serie galt Siecher Herz, Nummer 3 befasste sich mit Julius Stern.
Als beweis wird die Geschichte eines Bauern aus Waldbach geschildert, der im Jahre 1929 von Gustav Berliner eine Kuh gekauft hatte, die nicht schon nach sechs Wochen, sondern erst nach vier Monaten kalbte und dann an einem Strich die Milch laufen ließ. Gustav Berliner habe ihm die Kuh unter Preis wieder abgeschwätzt und sie einem Bauern in Brettach als gesund zu einem höheren Preis weiterverkauft…… Ob wahr oder nicht wahr – Gustav Berliner wird sich gehütet haben, der Partei zu widersprechen.
Gustav Berliner stammte aus Eschenau, wurde 1876 geboren, heiratete Therese Heinzfurther aus Crailsheim und hatte mit ihr vier Kinder. Die Familie wohnte in der Poststraße im Hause des Metzgers Sigmund Weil, später in der Synagoge.
Mit anderen jüdischen Viehhändlern unterhielt er einen gemeinsamen Stall im Martersgäßle. Der Viehhandel ging schnell zurück, „weil die Bauern ihre Schulden nicht mehr bezahlten“.
Auch Gustav Berliner wurde bei der SA-Aktion 1933 in Öhringen gepeinigt.
(Siehe Beitragsbild oben: Gustav Berliner in der Mitte im Gefängnishof in Öhringen)
Gustav Berliner starb 1943 in den USA.
Von den vier Kindern starb die 1907 geborene Else mit knapp 27 Jahren an Magenblutungen, sie hatte den Beruf der Säuglingsschwester erlernt und mit Fleiß und Liebe in Baden und in der Schweiz ausgeführt. Sohn Hans wanderte als Zwanzigjähriger 1929 in die USA aus.
Bei der United States Federal Census 1940 wird sein Beruf als Sales manager for leather angegeben.
Der 1914 geborene Herbert verließ mit 19 Jahren Öhringen, ging nach Karlsruhe und von dort in die USA. Else, Hans und Herbert hatten in Öhringen das Progymnasium besucht.
Der jüngste Sohn Kurt, 1923 geboren, war zehn Jahre als, als Hitler an die Macht kam und sein Vater bei der SA-Aktion misshandelt wurde.
Kurt besuchte die Volksschule, wurde 1936 aus ihr verwiesen und ging dann zu Hans Bodenheimer in die jüdische Schule. Kurt Berliner wanderte mit seinen Eltern 1938 nach New York aus, wo Bruder Hans schon neun Jahre lebte. An eine Fortsetzung der schulischen Ausbildung war nicht zu denken, denn Kurt musste zum Unterhalt der Familie beitragen und arbeitete in einer Gerberei.
Kurt Berliner und auch sein Bruder Hans kamen kurz nach Kriegsende wiederholt nach Öhringen – beide als Angehörige der US-Army. Sie besuchten befreundete Familien, waren zu Gast in ihrem früheren Zuhause und zeigten sich hilfsbereit. Alle drei Berliner-Söhne sind inzwischen verstorben.