Im Lageplan sind das die Steine [3] [4]
Merzbacher, Julius Dr.
Julius, Kind von Isaak Merzbacher (1855-1914) und Therese (1859-1917) geb. Gutmann, kam 1890 in Öhringen auf die Welt. Sein Vater war Handelsmann und kam aus Berlichingen, seine Mutter stammt aus dem bayrischen Heinsfarth im Donau-Ries-Kreis bei Oettingen. Die Familie wohnte in der Marktstraße 3.
Die beiden Eltern fanden ihre Ruhestätte auf dem jüdischen Friedhof in Öhringen.
Julius Merzbacher besuchte das Progymnasium, war Klassenprimus, legte in Heilbronn mit Preis das Abitur ab. Er studierte Medizin und hat sein Medizinstudium 1913 abgeschlossen. Beim Kriegsausbruch 1914 meldete er sich freiwillig zum Wehrdienst und arbeitete als Arzt und Soldat an verschiedenen Stellen an der Front im ersten Weltkrieg. Dafür bekam er zwei besondere Auszeichnungen. Er kehrte als Oberarzt nach Öhringen zurück. Ab 1919 war er praktischer Arzt in Öhringen. Julius heiratete in Konstanz am 26. März 1923 Hilde, geborene Haymann. Sie war am 28.12.1898 in Konstanz auf die Welt gekommen.
Am 1.Mai 1924 kam der erste Sohn Rudolf und am 11. Juni.1928 der zweite Sohn Werner in Öhringen zur Welt. Es war eine glückliche Familie, die in Harmonie mit ihren Mitbürgern lebte – bis 1933.
Hilde war als Mensch beliebt und hat ihren Mann oftmals in seinem Dienst begleitet. Wurde er zu einer Geburt gerufen, wartete sie geduldig im Auto, ob sie eventuell bei einer schweren Entbindung gebraucht würde.
Auch Julius war sehr beliebt und als Mediziner hoch geschätzt, der jedem Ruf zu jeder Zeit folgte. Oft verzichtete er auf ein Honorar, wenn die Armut mit am Krankenbett stand.
Im Jahr 1929 zog er mit seiner Familie und der Arztpraxis in die Büttelbronner Str. 6 um. Er fühlte sich seiner israelitischen Gemeinde zugehörig, galt aber nicht als strenggläubig, eher als liberal. Als mehrfach ausgezeichneter Frontkämpfer durfte er auch nach 1935, obwohl Jude, seine Kassenpraxis weiter ausüben. Aber er stand als populärer Jude im Brennpunkt der Stadt.
Von besonderer Tragik war der Schicksalsweg des Dr. Julius Merzbacher. Von einem Jungen aus Pfedelbach wurde er 1937 beleidigt, dass er sich im Affekt zu einer Körperverletzung hinreißen ließ, damit hatten die Nazis ihren Vorwand für einen Schauprozess. Dr. Merzbacher kam vor Gericht und in einem politischen Prozess wurde er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Er verbüßte die Strafe vom 8.11.1937 bis 8.1.1938 im Öhringen Gefängnis. Auch nach den zwei Monaten im Gefängnis wollte Merzbacher Deutschland nicht verlassen; er verkaufte sein Anwesen und zog mit seiner Familie in die Heimatstadt seiner Frau, nach Konstanz, um. Er versuchte in Konstanz mit geringem Erfolg wieder eine Arztpraxis zu eröffnen.
Der erste Sohn Rudolf – Rolf genannt – war bereits 1936 zu seinen Großeltern nach Konstanz gekommen. Von dort aus ging er im schweizerischen Kreuzlingen in die Schule. Die Trennung von den Eltern und deren ungewisses Schicksal lastete schwer auf ihm und er konnte in seinem Leben nie mehr richtig Fuß fassen.
Der zweite Sohn, Werner, konnte mit einem Kindertransport nach Zürich auswandern und wurde dort von einer Arztfamilie aufgenommen.
Dr. Julius Merzbacher wurde mit anderen Juden aus Deutschland nach der „Reichskristallnacht“ in das KZ Dachau gebracht. Dort musste er vom 10.11.1938 bis 10.12.1938 zubringen. Nach diesem schrecklichen Erlebnis wollte er Deutschland verlassen. Vorher hatte ihn seine Schwägerin in Konstanz gedrängt: „Komm mit nach Palästina!“. Er aber hatte noch entgegnet: „Ich warte, ob das Übel vorbeigeht, sonst komme ich mit dem letzten Schiff“.
Nun durfte er erkannt haben, dass er in seinem Vaterland keinen Schutz mehr genießt. Die Auswanderung nach England war im Juni 1939 eingeleitet. Alle Vorkehrungen waren getroffen, die Abgaben und Steuern bezahlt und die Versendung des Hausrats mit Praxiseinrichtungen genehmigt. Das Mobiliar lagerte schon beim Spediteur. Da brach der zweite Weltkrieg aus. Eine Auswanderung nach England war jetzt nicht mehr möglich. Wollte er dann zu seinen beiden Vettern nach Brasilien bzw. USA ausreisen? Wir wissen es nicht.
Am 22. Oktober 1940 wurden alle Hoffnungen jäh zerstört. An diesem Tag erging an alle in Baden lebenden Juden der Befehl, binnen einer Stunde oder in noch kürzerer Zeit mit fünfzig Kilogramm Gepäck und hundert Reichsmark reisefertig zu sein. Dr. Julius Merzbacher und seine Frau Hilde wurden zum Bahnhof und von dort aus mit dem Zug in das französische Internierungslager Gurs im unbesetzten Teil Frankreichs gebracht. Dies war eine Vereinbarung mit der französischen Vichy-Regierung. Von dieser Aktion waren etwa 4.500 lebende Juden in Baden betroffen.
Etwa zwei qualvolle Jahre verbrachten sie gemeinsam im Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen. Dann wurden sie beide in das Sammellager Rivesaltes und Drancy in Frankreich verlegt. Der Arm Eichmanns erreichte sie auch dort.
In einem der von Eichmann organisierten Transporte wurden sie am 6. März 1943 in das KZ nach Lublin-Majdanek deportiert. Von Dr. Julius Merzbacher und seiner Frau Hilde kam kein Lebenszeichen mehr. Niemand weiß genau, wo, wann und wie sie starben. Im Jahr 1945 wurde er amtlich für tot erklärt.
Die Stadt Konstanz hat für die ganze Familie Merzbacher Stolpersteine verlegt: