Hugo Levi

Der Jude und der Soldat

Als Otto Heinrich aus Untersöllbach im Jahr 1941 als Soldat auf Urlaub kam und vom Bahnhof Öhringen zu Fuß heimwärts ging, hatte er ein bewegendes Erlebnis. Am Stadtrand sah er ein halbes Dutzend Männer mit Schaufeln bei Erdarbeiten. Die von der Stadt zu Gelegenheitsarbeiten herangezogenen Männer trugen den Judenstern. Unter ihnen Hugo Levi. Otto Heinrich erkannte ihn, und Hugo Levi erkannte den Bauernsohn, mit dessen Vater er oft Geschäfte gemacht hatte. Der gekennzeichnete Jude und der Soldat sahen sich an. Der Soldat nickte ihm zu und ging weiter. Es sah so aus, als ob sich beide genierten.

Levi hieß mit Vorname Heinrich, aber genannt wurde er Hugo. Geboren 1889 in Crailsheim, heiratete er die acht Jahre jüngere Irma Kocherthaler aus Ernsbach. Das Ehepaar wohnte mit Sohn Justin in einem Doppelhaus in der Karlsvorstadt. Mit Louis Kahn betrieb Hugo Levi eine Viehhandlung. Daß die Geschäfte gut gingen, war wohl auch der Freundlichkeit und Redlichkeit Hugo Levis zuzuschreiben.

Bauern aus der Öhringer Umgebung berichteten: Hugo Levi kam fast jede Woche auf den Hof. Die Zusammenarbeit mit ihm war angenehm. Er war gern gesehen und wurde auch gern zum Vesper eingeladen. Stolz trug er ein „Bändle“ am Revers, das ihn als Kriegsteilnehmer auswies. Er war im ersten Kriegsjahr verschüttet und verwundet worden. Wie freundschaftlich die Beziehungen zu manchen Bauern waren, durfte Hugo Levi erfahren, als er sich in größter Hot befand. Unter einer Brücke bei Cappel fand er nachts manches Stück Butter und manches Ei, heimlich dort abgelegt. Bei einem befreundeten Bauern in Neuenstein wurde für ihn und seine Familie am Backtag immer ein Brot mit gebacken.

Im März 1933 trafen bei Hugo Levi und seinem Teilhaber Ludwig Kahn Drohbriefe ein. Ludwig Kahn, der luxemburgischer Staatsangehöriger war, flüchtete nach Luxemburg. Hugo Levi soll auch geflüchtet, dann aber wieder nach Öhringen zurückgekommen sein, um das Geschäft aufzulösen. Warum er und seine Frau auch noch 1941 in Öhringen waren und zu den letzten Öhringer Juden gehörten, die im November 1941 die Stadt verlassen mussten und in ein Todeslager bei Riga gebracht wurden, ist nicht bekannt.

Seine Wohnung in der Karlsvorstadt mußte Hugo Levi schon 1939 verkaufen und dann einer Anordnung folgen, wonach alle Juden zusammen ziehen und nur noch in Judenhäusern wohnen durften. Die Familie Levi kam bei der Familie Westheimer unter. Als er seine Wohnung räumen musste, bat er den Neuensteiner Bauer Gustav Schüle, er möge doch seine Möbel holen. Mit einem Fuhrwerk kam der Neuensteiner nach Öhringen, wo er bespuckt und beschimpft wurde.

Diesen Schreibtisch und einen Schrank hat Hugo Levi als Dank für die Hilfe beim Umzug dem Herrn Schüle geschenkt.

Im Haus von Gustav Schüle packte Hugo Levi auch seinen Koffer für die Deportation. Mit Tränen verabschiedete er sich, wohl wissend, dass es kein Wiedersehen gab. Hugo Levi und seine Frau Irma wurden im Jungfernhof bei Riga ermordet.
Die Tochter der Familie Schüle hat hochbetagt an der Stolpersteinverlegung für die Familie teilgenommen und deren Enkelin berichtete dabei von dem freundschaftlichen Verhältnis.

Der 1921 geborene Sohn Justin trat 1931 in das Progymnasium ein und verließ es Anfang 1936. Er meldete sich nach Frankreich ab, wo er das College Cuvier Montbeliard besuchte. Nach der Besetzung Frankreichs wurde er von den Deutschen aufgegriffen und über mehrere Lager nach Auschwitz deportiert. Die Nummer 177 934 ist das letzte Lebenszeichen von Justin Levi.
Auch seine Großmutter väterlicherseits wurde ein Opfer der „Endlösung“. Sara Levi, aus Ernsbach stammend, lebte von 1933 bis 1938 in der Familie ihres Sohnes Hugo, zog 1938 nach Stuttgart, kam 1941 in das Altersheim Herrlingen und mit über 81 Jahren nach Theresienstadt. Sie starb am 2. September 1942 in Theresienstadt. Als Todesursache wird Marasmus angegeben, das bedeutet Unterernährung. Im Klartext: Sie ist verhungert.

Quelle:
https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/?searchKeyword=Levi%20Sara