Margarete Haas-Herz berichtet:

Eine Familie auf der Flucht

Siegfried Herz flüchtete im Sommer 1933 mit Frau und Tochter nachts ohne Paß und Gepäck über die Grenze nach Holland. Die Stationen dieser Flucht schildert die Tochter Margarete Haas-Herz:

Wir trafen uns zur Flucht nach Holland bei der Schwester meines Vaters in Köln, die mit ihrem Mann später in einem KZ umgekommen ist. ln Rotterdam, wo mein Vater einen Pferdehändler kannte, hielten wir uns zwei Monate auf. Ein Bruder meines Vaters schickte aus Frankfurt Geld.

Frankreich sollte unsere Zuflucht werden. Ein Seifenfabrikant aus Metz, dessen Tochter mit dem Großonkel Löw aus Ernsbach verheiratet war, bürgte für uns. Wir ließen uns in Straßburg nieder. Da Vater dort in seinem Beruf nicht arbeiten konnte, gründete er in Westfrankreich, in Angers, eine Schlächterei. Dort waren wir die einzigen „feindlichen Deutschen“. Bald nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurden wir verhaftet. Meine Mutter und ich kamen in das berüchtigte Lager Gurs, wo entsetzliche Zustände herrschten. Vater kam woanders hin. Im französischen Lager Gurs (wo sich auch Dr. Merzbacher und seine Frau befanden) traf ich Gretel Kocherthaler von der Unteren Torstraße.
Ich gab mich als Französin aus, die irrtümlich hierher gekommen war, und erreichte, dass meine Mutter und ich ins Lager Barbotan kamen, wo wir meinen Vater und auch Frau Kahn aus Öhringen trafen.

Als die ersten Gerüchte auftauchten, die Juden kämen in ein KZ, hatte Vater die Auswanderung nach den USA in die Wege geleitet. Dort lebten schon seit dem vorigen Jahrhundert Geschwister meines Großvaters. Diese besorgten die Ausreisepapiere für die USA. Als ich das Avidavit auf dem amerikanischen Konsulat in Marseille abholen wollte, wurde mir gesagt, daß kein Schiff mehr fährt.

Rettung wurde Ende 1942 in der Schweiz gesucht. Ein Schlepper führte mich durch die Berge zur französisch-schweizerischen Grenze. Er nahm viel Geld, bekam angesichts deutscher Kontrollen Angst, ließ mich stehen und sagte nur: Dort drüben ist die Schweiz!

In der Schweiz wurde ich schnell als Deutsche erkannt und in einem Lager bei Luzern mit Russen, Polen, Ungarn und anderen Deutschen interniert. Auch meinen Eltern glückte es, schwarz über die Grenze zu kommen. Bei einem Pfarrer fanden sie erste Aufnahme. In der Schweiz wurden sie nicht interniert, sie konnten bis Kriegsende in Zürich leben.1945 floh ich aus dem Internierungslager und gelangte mit fremder Hilfe zurück nach Angers. Das Haus meiner Eltern war beschlagnahmt, die Möbel waren verschwunden. Sie fanden sich bei einem Franzosen, der sie wieder herausgeben musste. Bald kamen auch die Eltern nach Angers zurück in ihr Haus mit den vertrauten Möbeln, die noch aus unserer Öhringer Zeit stammten. Vater hatte sie durch einen Franzosen, dem er einen Schuldschein ausgestellt hatte, als „Entschädigung für nicht geleistete Zahlung“ vor dem Krieg nach Frankreich bringen lassen.

Quelle: WEB: Frankreich, Sterberegister, 1970-2020

Quelle Beitragsbild oben:
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