Moritz Frießner

18. März – der Fastentag

Der Weinkaufmann Moritz Frießner, 47 Jahre alt, befand sich am 18. März 1933 auf dem Weg vom „Gelben Schlössle“ zur Synagoge. Er lief SA-Männern in die Hände, die mit ihrem Anführer Fritz Klein aus Heilbronn gekommen waren und an diesem Tag in Öhringen Jagd auf Kommunisten und Juden machten. Angeblich suchten sie nach Waffen. Moritz Frießner besaß keine. Die SA nahm ihn trotzdem fest, brachte ihn in das Gefängnis am Hafenmarkt und schlug mir Knüppeln auf ihn ein. Er erlitt dabei so schwere Verletzungen, dass er von diesem Tage an kaum mehr in der Lage war, seinen Geschäften nachzugehen. Dieser 18. März blieb ihm unvergessen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1958 war dieser Tag für ihn ein Fastentag.

Der Urenkel von Moritz Frießner hat uns diese Visitenkarte zukommen lassen. Er besitzt die Originalkarte, eingeklebt in ein Familienalbum. Vielen Dank an Lior in Tel Aviv!

Moritz Frießner betrieb mit Julius Israel im „Gelben Schlössle“ eine Weingroßhandlung. In Ermershausen in Unterfranken 1886 geboren, war er schon in jungen Jahren nach Öhringen gekommen und hatte 1913 Anna Israel geheiratet, 1889 in Ernsbach geboren und eine Schwester von Julius Israel. Anna Frießner starb 1918 an der Kopfgrippe, die man damals „Kriegsgrippe“ nannte. Seine zweite Ehe ging Moritz Frießner mit Frieda Ledermann aus Künzelsau ein, geboren 1895.

Wie sein Kompagnon Julius Israel wurde Moritz Frießner zum Kriegsdienst eingezogen, in den Vogesen eingesetzt, dann aber wegen Krankheit vorzeitig entlassen. Deutsch und demokratisch gesinnt, wurde er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei. Wie der mit Öhringen noch stärker verbundene Julius Israel entwickelte auch Moritz Frießner Öhringer Bürgersinn. Es fand sichtbaren Ausdruck, als Israel und Frießner die Fassade ihres „Gelben Schlössles“ renovieren und unter dem Verputz das dekorative Fachwerk erkannt wurde. Mit erheblichen Mehrkosten ließen sie das Fachwerk freilegen und gaben so dem „Gelben Schlössle“ sein heutiges Bild.

Das Geschäft mit den Weinen lief gut. Doch nach dem 18. März 1933 kam der April 1933, der Boykotttag gegen jüdische Geschäfte. Auch am „Gelben Schlössle“ prangte das Plakat „Jüdisches Geschäft“. Immer mehr Kunden hatten Angst, mit der Firma Israel und Frießner Geschäfte zu machen. 1937 wurde die Weinhandlung aufgegeben, das „Gelbe Schlössle“ verkauft.
Die Familie Frießner wanderte nach Palästina aus. Julius Israell und Familie folgte 1938.

Aus der ersten Ehe mit Anna Israel war Berti hervorgegangen, geboren 1917. Sie besuchte Volksschule und Progymnasium bis zur Mittleren Reife, hielt sich von 1934 bis 1937 in Holland als Haushaltshilfe auf und kehrte 1937 nach Öhringen zurück, um mit Eltern und Geschwistern auszuwandern. Berti Frießner, heute Berti Jacob lebt in Tel-Aviv. Israel wurde auch die Heimat von Ruth Frießner, heute Ruth Goldberg, die 1930 geboren wurde und noch zwei Jahre die jüdische Schule in Öhringen bis zur Auswanderung besuchte.

Lotte Frießner, verheiratete Lessinger, verbrachte 16 Jahre ihrer Kindheit in Öhringen. 1921 geboren, besuchte sie vier Jahre die Volksschule und danach das Progymnasium, das sie nach 1934 verließ und in die Volksschule zurückkehrte, um Drangsalierungen zu entgehen. Eine Mitschülerin berichtet: „Als ich Lotte auf dem Weg von der Schillerschule zum Turnunterricht in der alten Turnhalle auf dem Gepäckträger meines Fahrrades mitnahm, wurde ich ermahnt: Die Jüdin kann laufen!“

Aus Briefen ist zu spüren, wie sehr Lotte Frießner als Kind unter den Schikanen litt: „Wir durften nicht mehr ins Kino, wir durften nicht mehr in der Ohrn schwimmen….“
Ein bevorstehendes Wiedersehen mit Öhringen blieb Lotte Frießner versagt. Sie starb 1992 in Tel Aviv.