Siegfried Herz

Ein bewegtes Leben

Einer der bekanntesten Juden in Öhringen war Siegfried Herz. Vieh- und Pferdehändler und auch Immobilienmakler. Den „Siecher Herz“ kannte jeder in der Stadt und weit herum. Über ihn wurde viel erzählt: Wahres und Halbwahres. Er war ein tüchtiger Geschäftsmann, manchen zu tüchtig. Erzählt wird diese Anekdote: Beim Friseur Acker saß der Siecher Herz zum Rasieren und war schon eingeseift, als er durch das Fenster einen Bauern sah, mit dem er ein Geschäft vorhatte: Der Siecher sprang auf und rannte, das Gesicht voller Schaum, auf die Poststraße.

Siegfried Herz war ein Öhringer, hier 1890 in der Karlsvorstadt geboren, wo seine Eltern Isaak Herz und Hannah, geborene Löw aus Ernsbach, ihr Anwesen hatten. Der Vater starb schon 1911, im gleichen Jahr, als der jüdische Friedhof in Öhringen fertig gestellt wurde. Bis dahin waren die in Öhringen verstorbenen Juden auf dem Friedhof in Affaltrach begraben worden. Auf dem Öhringer Juden Friedhof fand auch Hannah Herz 1925 ihre letzte Ruhestätte. Sie hatte elf Kinder zur Welt gebracht, das sechste war Siegfried.

Von den elf Kindern starben zwei in frühester Jugend. Die anderen zogen fort nach Nürnberg und Frankfurt. Düsseldorf und Köln, nach Argentinien und Australien – nur Siegfried Herz blieb in Öhringen. Nach dem Grund dafür gefragt, soll er selbstbewusst gesagt haben: „Hier bin ich wer!“ In der Tat, Siegfried Herz war wer. Vom Progymnasium mit dem Einjährigen abgegangen, sprachbegabt und mit Homer vertraut, liberal gesinnt und angesehen, begegnete man dem Sangesfreund und spendenfreudigen Vereinsförderer mit Respekt. Sein Stammtisch stand in der Weinstube Bort, an dem auch die Schulkameraden Bertsch und Denner, Haller und Füchtner saßen.

Siegfried Herz mit seiner Frau Frieda, 1925; Stadtarchiv Öhringen

Die Geschäftsverbindung in der Siegfried Herz reichten weit. Er war viel auf Reisen zu großen Märkten und stets auf der Suche nach dem besonderen Stück Vieh. In Belgien und Holland kaufte er Pferde ein, aus Lübeck holte er Fohlen, aus Schleswig-Holstein die schwarz-weiß gefleckten Kühe. Wohnung und Stallungen befanden sich in der Schillerstraße bei der alten Löwen Kreuzung. Hier wurden auch die Pferde vorgeführt. Sicher Herz hatte Auto und Fahrer, benutzte für längere Reisen aber auch die Bahn ab Bietigheim. Absatz auf einer solchen Geschäftsreise befand er sich auch am 18. März 1933. In aller Frühe drangen fremde SA-Männer in das Haus ein, um angeblich nach Gewehren zu suchen. Das Dienstmädchen war aus Angst geflohen. August Hartmann der im Hause wohnende Knecht, wurde verprügelt, weil er nicht sagte, wo die „Sachen“ versteckt waren. Die SA-Männer fanden nichts und nahmen Frau Herz mit. Tochter Margarete, zwölf Jahre alt, blieb allein im Haus und durchlebte große Angst. Als der Vater gegen Mittag von Bietigheim zurück kam, wurde er verhaftet und seine Frau freigelassen. Sie stand unter Schock und konnte das alles gar nicht fassen.

Siegfried Herz wurde zu der Gruppe von Juden und Kommunisten getrieben, die an diesem Tag von dem Rollkommando der SA aufgegriffen, im Gefängnis misshandelt, durch die Stadt geführt und vor dem Steinhaus am Hafenmarkt fotografiert wurden. Der Mann auf diesem nachfolgenden Bild mit der handgemalten Sowjetfahne und dem verbundenen Kopf ist Siegfried Herz. Er wurde von Öhringen in das Heilbronner Gefängnis gebracht und am 2. April gegen Kaution entlassen.

Die Misshandlungen im Gefängnis hatten nicht nur Kopfverletzungen verursacht, unter den Schlägen der SA hatte, auch die Wirbelsäule gelitten. Siegfried Herz suchte Heilung in einem Sanatorium in Bad Godesberg, erhielt aber schon nach wenigen Tagen die Nachricht seines Vaters Alfred Herz aus Öhringen, er solle wieder verhaftet werden. Der Hass der neuen Machthaber gegen einen zu populären Juden verfolgte ihn. Siegfried Herz ließ seine Frau und seine zwölfjährige Tochter nach Köln kommen, wo eine seiner Schwestern wohnte. Ohne Pässe und Gepäck flüchteten sie Nacht über die Grenze nach Holland.

Im Einwohnermeldeamt der Stadt Öhringen wurde registriert: unbekannt verzogen, nicht abgemeldet. Am 22.4.1933 war im Hohenloher Boden zu lesen: „Wie man hört, soll das Siegfried Herz’sche Anwesen in der Schillerstraße zu 30.000 Reichsmark von der Firma Willig und Co. erworben worden sein“. Heute stehen die Gebäude nicht mehr, sie mussten der neuen Löwenkreuzung weichen.

Siegfried Herz war 21 Jahre alt, als sein Vater starb. jetzt hatte hauptsächlich er für die große Familie zu sorgen. Er heiratete 1919 Frieda Lehmann aus Schwäbisch Hall. Im Jahr 1921 wurde Tochter Margarete geboren. In der Volksschule, sagt sie, habe es keinen Unterschied zwischen jüdischen und christlichen Kindern gegeben. Auch im Progymnasium sei es wunderbar gewesen. Allerdings war sie an dieser Schule nur von 1932 bis 1933. Nach den Vorgängen am 18. März 1933 wurde sie heimgeschickt, der Lehrer wollte in seiner Klasse keine Jüdin haben.

Margarete ging zu Verwandten nach Schwäbisch Hall, dann zu Vaters Schwester nach Köln und flüchtete mit ihren Eltern nach Holland. Die Flucht führte weiter nach Frankreich, wo Siegfried Herz in Angers einen gut gehenden Viehhandel betrieb und Margarete nach einer Tätigkeit in einem Immobilienbüro ihrem kranken Vater im Geschäft beistand.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich wurden Siegfried Herz, Frau und Tochter verhaftet. Frau Herz und ihre Tochter kamen in das berüchtigte KZ Gurs nahe der Pyrenäen. Da man der fließend französisch sprechenden Tochter glaubte, sie seien Franzosen und nur irrtümlich in diesem Lager, kamen Mutter und Tochter wieder frei.

In einem anderen Lager trafen sie Siegfried Herz wieder und verabredeten ihre Flucht in die Schweiz. Tochter Margarete wurde in der Schweiz interniert. Kehrte nach Kriegsende zurück nach Frankreich und lebt heute in Dijon. Mit Öhringer Freunden steht sie in enger Verbindung.

Siegfred und Frieda Herz blieben in der Schweiz von einer Internierung verschont. In Zürich verbrachten sie ein bescheidenes Emigrantendasein. Nach Kriegsende zogen sie wieder nach Angers in ihr eigenes Haus. Siegfried Herz war schon längere Zeit krank. Zu den Verletzungen, die er bei der SA-Aktion in Öhringen erlitten hatte, war ein Herzleiden gekommen.

Der ungestüme Siecher Herz, der in Öhringen Freund und Feind hatte und ein wackerer Bürger war, wurde nur 66 Jahre alt. Seine Frau, die sein bewegtes Leben treu teilte, zog zu ihrer Tochter nach Dijon und lebte dort bis zu ihrem 82. Lebensjahr.